It’s a long way home!

„Hallo Herr Jost, Wie geht es Ihnen? Ist ihr Schiff wieder einsatzfähig? Grüße.“ Diese Nachricht auf WhatsApp von meiner früheren Werft am Bodensee hat mich berührt. Meine Antwort liess nicht lange auf sich warten: „Hallo, das ist schön, dass Sie nachfragen. Ehrlich gesagt, brauchte es etwas Zeit, nach meinem Crash vor Schwedens Küste wieder auf die Beine zu kommen. La Cabane ist Geschichte – das Schiff gibt es nicht mehr.“

Letzter Blick auf La Cabane in Romanshorn

In der Zwischenzeit sind einige Monate seit meinem traumatischen Erlebnis vor Schwedens Küste vergangen. Immer wieder höre ich diesen unglaublich lauten Knall des Aufschlags auf das Riff unter Wasser und das Beben des Schiffsrumpfes mit dem augenblicklichen Stillstand des Bootes auf dem Meer. Die Schreckenssekunden der Pein und Verzweiflung über meinen eigenen, unglaublichen Fehler, diese Stelle übersehen zu haben, kommen mir dabei hoch, als wäre es eben erst passiert.

Nach einer Woche Notquartier in Bergkvara hatte ich Schweden mit Barney und zwei Tüten Reiseproviant Richtung Schweiz verlassen. Mein Schiff musste ich in Schweden zurücklassen, bis es rund vier Wochen später auf den LKW verladen und in die Schweiz transportiert wurde. Noch vor meiner Abreise hatte ich die Speditionsfirma, die in meinem Auftrag die korrekte Verzollung abwickelte, darüber informiert, dass das havarierte Schiff in Schweden zur Abholung bereitsteht. „Warum sind Sie mit Ihrem Schiff in Schweden?“, fragte mich verdutzt der Spediteur der Firma Gondrand am Telefon. „Nun, ich bin hierher gesegelt wie geplant. Leider hat ein Unfall einen Strich durch den Plan gemacht, und jetzt heisst es Planänderung.“
„Ok, sagte der Spediteur nur, aber erwähnen Sie gegenüber keiner Zollbehörde, dass Sie mit dem Schiff in Schweden waren!“ Das war die Einleitung zu einem Spiessrutenlauf durch insgesamt vier deutsche Zollämter, der seinesgleichen sucht. Nach dem „Redeverbot“, das mir der Spediteur auferlegt hatte, war es eine unaufmerksame Mitarbeiterin der Speditionsfirma selbst, die die deutschen Zollbehörden auf den Plan gerufen hatte. Die darauf folgende willkürliche Auslegung der Zollbestimmungen durch die verschiedenen Ämter liess keine Wünsche offen. Nach rund einer Woche Irrfahrt des LKW’s durch mehrere deutsche Zollämter und einer Paragraphenguerilla wie im kalten Krieg wurde La Cabane endlich am 22. Juli in Romanshorn abgeladen.

Fähre von Trelleborg nach Rostock
Überfahrt mit der Fähre von Schweden nach Deutschland.

In Romanshorn angekommen, hatte ich meine Tochter dabei, die mir helfen wollte, das Schiff auszuladen. Beim Besteigen des Schiffs dauerte es eine Weile, bis ich gewahr wurde, dass einige Gegenstände fehlten. Erst war es der Wein, den mir Andreas beim Abschied geschenkt hatte, und den ich mit Carola in Kopenhagen trinken wollte. Seltsam!, dachte ich, dann merkte ich, dass der TV nicht in der Achterkabine war, wohin ich ihn vorsorglich für den LKW-Transport versorgt hatte. Erst jetzt schaute ich genau hin und stellte fest, dass auch das nagelneue Funkgerät fehlte, der Umwandler von 220 V auf 12 V Bordstrom, ja selbst das Dinghy (Rettungsboot), die Kaffeemaschine, weiteres elektronisches Zubehör. Selbst der Wantenschneider und weiteres Werkzeug fehlten. Es folgte eine Überraschung der nächsten. Die herbeigerufene Polizei nahm den Schaden auf und noch Tage später fielen mir Gegenstände ein, die ich seit Schweden vermisste.

Wenig später kam der Schadenexperte der Versicherung an Bord und untersuchte das Schiff auf alle sichtbaren und noch zu vermutenden Folgeschäden. In einem knapp 20 Seiten umfassenden Bericht kam der Experte zum Schluss, dass die „Wirtschaftlichkeit einer Reparatur“ nicht gegeben ist.

La Cabane wurde vier Wochen später zersägt und entsorgt. Die Versicherung hat mit der Auszahlung des Versicherungswertes den Fall abgeschlossen. Ich möchte dazu erwähnen, dass seitens Versicherung alles super korrekt abgewickelt wurde und ich wenigstens in dieser Sache einen fairen Partner an meiner Seite hatte.

Zum Schluss hier noch der Film zum Blog
(auch zu sehen auf https://www.youtube.com/watch?v=euxuEht81EM&t=13s)

 

 

Endstation

Freunde, das war’s. Schiffbruch im Kalmarsund, aus und vorbei.

Endstation Bergkvara: La Cabane wird klar gemacht für den Abtransport.

Was ist passiert? Torhamn, diesen kleinen, schnuckeligen Schärenhafen habe ich am frühen Dienstagmorgen, 18. Juni verlassen. Eine herrliche Morgenstimmung mit wenig Wind erwartete mich. Mein Tagesziel, Bergkvara liegt ca. 20 Seemeilen nördlich von hier auf dem Weg nach Kalmar. In Kalmar wollte ich das Wochenende verbringen, denn am Freitag ist hier ein grosser Feiertag, der Mittsommertag, wo ganz Schweden aus dem Häuschen ist. Soweit der Plan. In Kalmar würde ich mir langsam überlegen müssen, ob ich noch weiter nordwärts oder bereits die Rückkehr Richtung Süden antreten soll, um rechtzeitig in Simrishamn zu sein, wo mein Freund Rolf und sein Sohn Simon für eine Woche zusteigen würden und danach würde ich in Kopenhagen endlich meine Familie wieder sehen. Je nach Grosswetterlage konnte es gut sein, dass ich auch auf dem Rückweg nach Süden durchaus wieder ein paar Hafentage einlegen musste, und ich wollte auf keinen Fall zu spät für unsere gemeinsamen Ferien in Kopenhagen ankommen.

Sonnenuntergang in Torhamn

Mein elektronisches Navigationsprogramm bietet die Möglichkeit der automatischen Routenwahl. Torhamn liegt noch im Schärengebiet, knapp vor dem Zugang zum Kalmarsund, dem mehr oder weniger offenen Meer. Zwischen dem Zugang zum offenen Meer und dem kleinen Hafen Torhamn liegt ein Flachwassergebiet mit teilweise nur gerade 0,7 Meter Wassertiefe. La Cabane hat 1,85 Meter Tiefgang. Die automatische Routenwahl schlug einen Umweg vor, um das Flachwassergebiet zu umfahren. Dieser Umweg hätte mich aber mindestens zwei bis drei Stunden gekostet. Das schien mir unnötig, zumal es auf der Seekarte eine betonnte Fahrrinne zum Meer gab. Ich entschied mich für die Fahrrinne und gegen die automatische Routenwahl des Navigationsprogramms. Der Entscheid war richtig. Die Fahrrinne war supereng, aber immer genügend tief. Nach ca. einer halben Stunde war ich auf dem offenen Meer. Von hier aus konnte ich nun nordwärts Richtung Bergkvara fahren. Leider war nichts mit Segeln, denn der Wind war unterdessen ganz eingeschlafen.

Ein letztes Mal Schärensegeln vom Feinsten

Nach ungefähr zwei Stunden, auf halbem Weg, war ich auf der Höhe Kristianopel. Ich bemerkte, dass auf dem GPS-Plotter die AIS-Signale der anderen Schiffe nicht mehr auf meinem Display angezeigt wurden. Das ist bei diesem schönen Wetter mit stahlblauem Himmel nicht weiter tragisch, denn ich konnte die Schiffe ja mit blossem Auge sehen, da aber im Moment grad nichts zu tun war, holte ich das englische Bedienermanual des Gerätes um herauszufinden, woran der Fehler liegen könnte. Ich setzte mich draussen hin und las das Manual.

Ich hatte es noch nicht lange aufgeschlagen, da erschütterte plötzlich ein gewaltiger Knall das ganze Schiff. Augenblicklich standen wir still. Ich wusste sofort, was passiert war: Wir waren auf Grund gelaufen, und das bei voller Geschwindigkeit von ca. 6 Knoten, also knapp 12 km/h. Auf offenem Meer. La Cabanes Kiel hatte sich in schwedischen Granit gebohrt. Ein Kontrollblick auf die Karte bestätigte meine schlimmste Befürchtung: Wir waren exakt auf einen Unterwasserfelsen gedonnert. Wenige Meter links oder rechts daneben wäre alles frei gewesen. Das Unglaubliche war, dass links und rechts von uns dutzende von Segelyachten friedlich auf demselben Kurs Richtung Norden unterwegs waren. Wir befanden uns auf einer Art Segel-Autobahn und es schien, als hätten alle das gleiche Ziel: Norden. Aber ich hatte genau jene Stelle erwischt, an der es kein Weiterkommen gab. Ich sah, dass von der Wucht des Aufpralls die Einbaumöbel der Pantry (Küche) zum Teil geborsten waren. Einige Schnapptüren liessen sich nicht mehr schliessen. Barney ist erschrocken und sofort aus seiner Hundekoje zu mir hochgekommen.

Einen Augenblick dachte ich, der Motor sei explodiert, aber dieser schnurrte friedlich vor sich hin. Zum Glück, so konnte ich die Unglücksstelle rückwärts verlassen. Ich umfuhr den Felsen grossräumig in der Hoffnung, dass der Kiel noch hält. Mein Ziel, Bergkvara war in knapper Sichtweite und ich schätzte die Zeit bis dorthin auf ca. 1,5 Stunden. Das sollte machbar sein, und so entschied ich mich, Schiff und Mannschaft auf direkten Weg Richtung Bergkvara in Sicherheit zu bringen. Ich überlegte kurz, ob ich einen Notruf über Funk absetzen sollte, aber das schien mir übertrieben, da das Ziel in greifbarer Nähe war. Natürlich kam jetzt Wind auf, und ich hätte segeln können, aber das war mir jetzt egal. Das einzige, das jetzt zählte, war so schnell wie möglich und zwar möglichst ohne den Kiel zusätzlichen Belastungen auszusetzen, den nächsten Hafen anzulaufen.

Endlich in Bergkvara angekommen, musste ich erst bei starkem Seitenwind das Schiff an einer dieser lästigen Heckbojen anmachen. Irgendwie gelang mir das dann mit Hilfe von netten Schweden, die von ihren Schiffen herzukamen. «Is everything ok?», fragte einer der Schweden. Er musste in meinem Gesichtsausdruck etwas erkannt haben. No!, sagte ich, nothing is ok, und ich erzählte ihm von meinem Unfall. Überall grosses Bedauern. Reden hilft, habe ich einmal gelesen.

Nun hatte ich erst Zeit, mir einen Überblick über die Schäden am Schiff zu verschaffen. Neben dem zerborstenen Mobiliar im Salon und einem herausgeschleuderten Ablagefach aus der Steuerbordkabine sah ich, dass in der Bilge eine beträchtliche Menge Wasser war. Die Bilge ist der tiefste, noch zugängliche Ort im Schiff, in dem sich Wasser ansammelt. Das kann Regenwasser sein, das sich dort ansammelt oder eben Wasser, das durch eine defekte oder zerstörte Kielverschraubung in das Schiffsinnere dringt.

Im Hafenmeisterbüro organisierte ich einen Bootsbauer von der Werft im Ort. Dieser kam sehr rasch und begutachtete die Folgen dieser «Grundberührung» wie das im Fachjargon reichlich verharmlosend heisst. „This looks not good“, sagte er mir in gebrochenem Englisch. Wir entschieden uns, das Schiff sofort auszuwassern. Eine halbe Stunde später kam bereits ein riesiger Pneukran an den Kai und wir hoben das Boot auf Lagerböcke, die schon parat standen. Erst jetzt konnten wir den stark beschädigten Kiel begutachten. Die Vorderseite der Kielflosse sah aus, als hätte ein gigantischer weisser Hai daran geknabbert und ein grosses Stück abgebissen. Das ist eigentlich der kleinste Schaden, denn der Kiel besteht aus reinem Blei. Das kann man abflexen und wieder aufbauen. Viel stärker fallen die äusserlich erkennbaren Risse am Schiffsrumpf ins Gewicht. Das bedeutet, dass das Schiff schlimmstenfalls in seiner tragenden Grundstruktur gelitten hat.

Auswassern in Bergkvara

Das Schiff liegt nun im Trockendock und statt die wunderschöne Landschaft zu entdecken, heisst es nun Papierkrieg, Administration, Versicherungsknatsch und den Rücktransport des Schiffs in die Schweiz zu organisieren, denn fahrtüchtig ist das Schiff definitiv nicht mehr. Wie durch ein Wunder blieben Barney und ich bei diesem Aufprall komplett unverletzt. Dafür bin ich dankbar!

Ein letztes Mal Schweden von seiner Schokoladenseite

Wenn das Schiff nicht das macht, was du willst, musst du machen, was das Schiff will

Allein die Bezeichnung dafür ist ja irgendwie schon seltsam: Einhandsegeln. Wer das wohl erfunden hat? Gemeint ist das Segeln ohne fremde Hilfe. In der Regel hat man an Bord ja eine Mann- oder Frauschaft, die gemeinsam mit dem Skipper das Schiff steuert. Es gibt immer etwas zu tun. Es braucht jemanden am Steuer, dann muss jemand die Segel setzen und sie ständig neu auf den Wind einstellen, bei den Hafenmanövern ist man sowieso froh um mehrere helfende Hände, die möglichst gleichzeitig überall sein sollten, um das Schiff dorthin zu verlegen, wo es hinsoll.

Brücke auf dem Weg nach Torhamn

Alleine fallen diese helfenden Hände weg. Das bedeutet ein genaues Vorausplanen. Wie verhält sich das Schiff, woher kommt der Wind? Hat es eventuell Strömung (zum Beispiel in einem Hafen einer Flussmündung)? In welche Richtung dreht sich das Heck bei Rückwärtsfahrt aufgrund des Schraubeneffekts? All das zu wissen ist wichtig. Noch wichtiger aber, und das lerne ich hier, ist das bewusste Einsetzen all dieser Kräfte für meinen Zweck. Ich muss mit dem Wind arbeiten, mit dem Schraubeneffekt, mit der Strömung, mit der Trägheit des Schiffs usw. Das alles sind physikalische Kräfte, die mir helfen, das Schiff in jene Richtung zu lenken, in die ich es haben will. Vor vielen Jahren habe ich einen Hafen-Manöverkurs in Holland gemacht. Wir waren auf einer wunderbaren, über 30 Tonnen schweren Lemsteraak, einem traditionellen Plattbodenschiff. Wenn ein Manöver nicht auf Anhieb gelang, lachte Marianne, die Skipperin, und sagte den Satz, den ich nie vergessen habe: «Wenn das Schiff nicht das macht, was du willst, musst du machen, was das Schiff will!» Alleine für diesen Satz hat sich der ganz Kurs gelohnt. Man kann nicht gegen die physikalischen Gesetze arbeiten.

Es gelingen längst nicht alle Manöver, wenn ich alleine unterwegs bin, aber ich lerne jeden Tag dazu, die Kräfte der Natur besser einzuschätzen. In Simrishamn sprach mich ein deutsches Ehepaar an und fragte etwas besorgt: «und du bist alleine auf diesem Schiff unterwegs? Wie geht das mit den Hafenmanövern?» Ich antwortete, dass meistens jemand parat steht, der einem die Leine entgegennimmt. Und wenn einmal niemand dasteht, dann sieht wenigstens auch niemand zu, wenn ein Manöver in die Hosen geht. Hafenkino nennt man das. Zu gaffen gibt es immer was in den Häfen.

Abendrot in Karslkrona

Unterwegs ist es einfacher. Da hilft mir der Autopilot. Erst durch den Einbau dieses Gerätes bin ich in der Lage, das Steuer des Schiffs loszulassen, um die Segel zu setzen, sie einzustellen oder zu bergen. Dazwischen kann ich mir Dank des Autopilots eine Pause gönnen und mir den fertig vorbereiteten Lunch aus der Kombüse holen und das tun, was ich schon immer tun wollte: geniessen.

Torhamn

Geniessen ist auch jetzt gerade angesagt. Nach der pulsierenden Stadt Karlskrona, die mir gut gefallen hat, sind wir gegen Mittag in Torhamn angekommen, einem schnuckeligen Minihafen an der südöstlichsten Spitze Schwedens. Das «Zentrum» besteht aus einer Kirche, einen Minimarkt und einer Pizzeria. That’s it. Mehr brauche ich nicht. Zeit zum Lesen ist genug da und die Sonne scheint. Und Barney geniesst die Spaziergänge dem Ufer entlang, wo es immer etwas zu schnüffeln gibt. Besonders lecker findet er tote Möwen oder ausgetrocknete Fische. Da wälzt er sich genüsslich darin, denn für ihn ist das eine Art «Parfüm»: schau mal, wie exotisch ich rieche, findest du das nicht auch supertoll? So weit entfernt sind Hunde dann doch nicht von uns Menschen. Es gibt manche – Menschen! – die sich mit «Musk» einduften und sich dann auch supertoll finden. Ich habe einmal gelesen, was der Grundstoff von Musk ist. Seit ich das weiss, kann ich Barneys Duft-Vorlieben besser verstehen.

Der Hund und das Meer

Ein Traum ging in Erfüllung

Nach einer Nacht im Stadthafen von Karslhamn verlegte ich das Boot in den nahe und idyllisch gelegenen Hafen von Vägga Fiskehamn. Auch hier, wie bereits im Stadthafen von Karlshamn hat die Saison noch nicht angebrochen und auch hier, wie im Stadthafen, bemühte sich der Hafenmeister gar nicht erst, aufzutauchen. Also zweimal gratis liegen. Auch gut. Zum Glück habe ich beim Anlegen im Vägga Fiskehamn eine deutsche Familie auf ihrer Yacht getroffen, die mir den Code für das Duschgebäude verraten haben. So konnte ich wenigstens wieder einmal duschen.

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Ich war sehr froh um meine modernen Navigationsinstrumente wie GPS-Plotter und Autopilot. Man muss sich in den Schären sehr genau an die Seekarte halten, um nicht ungewollt auf einen Felsen unter Wasser zu rumsen. Grundlage für die Planung ist und bleibt die Papierseekarte, die einem den Überblick über das Revier gibt. Anschliessend wird die Route, ähnlich wie beim GPS im Auto in das System eingegeben, und so weiss man immer, wo man sich gerade befindet. Trotz allem ist die Perspektive auf dem Wasser immer wieder gewöhnungsbedürftig. Die Insel, die ich da vorne sehe – gemäss Darstellung auf der Karte sollte die etwas mehr links oder rechts sein… Es braucht etwas Übung, bis ich die Landschaft, die sich mir nach jeder Insel neu eröffnet, übersetzen kann auf die Darstellung auf dem Bildschirm und der Karte. Nach vier Stunden Höchstkonzentration in diesem traumhaften Revier erreichte ich Ekenäs.

Eines meiner Ziele auf diesem Ostseetörn war das Umwandern einer Insel. Das wurde mir auf Hanö geschenkt. Ein anderes Ziel war das Segeln in den Schären. Dieser Traum wurde mir heute erfüllt. So schön! Ekenäs, der kleine aber sympathisch anmutende Hafen bei Ronnebyhamn war dann die Krönung dieses Tages. Ein nettes Restaurant mit netten Wirtsleuten empfingen mich hier. Da der Wind für morgen auf meinem Weg Richtung Osten wieder platt auf die Nase angesagt und mit einer Stärke von fünf Beaufort angesagt ist, weiss ich schon jetzt, dass ich hierbleiben werde, und zwar gerne.

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König ist, wer seine Grenzen kennt

Heute habe ich mich geärgert. Über mich selbst. Ich kann es nicht einmal jemand anderem in die Schuhe schieben, selberschuld! So gut es mir in Hanö gefallen hatte, ich wollte weiter. Die Windvorhersage war suboptimal für heute. Wind aus Ostnordost, Stärke fünf bis sechs Beaufort mit Regenschauern dazwischen. Also wieder einmal Wind aus der verkehrten Richtung. Eigentlich der Klassiker: Hafentag! Ich wollte aber keinen Hafentag, ich wollte weiter. Das rund 30 Seemeilen entfernt liegende Karlskrona war mein Ziel. Da ich in Hanö mit seinem kleinen Hafen, der an der Westseite der Insel liegt, im Windschatten gelegen hatte, konnte ich nicht abschätzen, wie es «da draussen» aussieht, Richtung Karlskrona. Also legte ich mir einen Plan B zurecht. Sollte Karlskrona wegen der Windverhältnisse nicht drin liegen, drehe ich ab und segle nach Karlshamn, das nur knapp zehn Seemeilen entfernt und nördlicher liegt. So sollte es klappen. Dachte ich.

Der Wind war, wie von der App vorhergesagt, recht heftig. Sobald ich aus dem Windschatten der Insel war, schnellte die Windanzeige auf 20 bis 25 Knoten, also fünf bis sechs Beaufort. Ich ging die Sache recht vorsichtig an, wie ich meinte, und rollte lediglich die Genua aus, und zwar von Anfang an im dritten Reff (das heisst, eine deutlich geringere Segelfläche). Das Grosssegel packte ich erst gar nicht aus. Allein mit dieser Minisegelfläche sprang La Cabane auf 6,5 Knoten Fahrt und bretterte durch die Wellen. Die Wellen, was für Wellen! Es schien mir, als wollten sie mich absichtlich ausbremsen. Sie waren nicht besonders hoch, ich schätzte sie auf nicht ganz einen Meter. Mit voller Gewalt donnerten sie aber endlos gegen den Bug und wälzten sich anschliessend über das ganze Schiff. Sie zerrten am Schiff und schlugen so erbarmungslos auf das Boot ein, dass mir nicht mehr wohl war bei der Sache. Umdrehen war keine Option, also ziehen wir die Sache durch. Das Ziel war unterdessen sowieso klar: Plan B.

Nach einer Weile überlegte ich mir, was passieren würde, wenn eine Böe mit z.B. Windstärke sieben kommen würde. Wie würde sich dann das Schiff verhalten? Es hatte bereits jetzt recht starke Krängung nach Backbord. Ich beschloss also zur Sicherheit die Genua einzurollen und nur mit Maschine weiterzufahren. Kaum war die Genua eingerollt und der 13 PS Diesel an, musste ich feststellen, dass der Motor zu wenig Kraft hatte und kaum gegen den Wind und vor allem gegen die kräftigen Wellen ankam, die das Boot unablässig ausbremsten. Bei 3’000 Umdrehungen kam ich mit läppischen 2,5 bis 3 Knoten Fahrt vorwärts. Das Schiff stampfte hilflos in den Wellen wie in einer Achterbahn hoch und runter. Das war eine schlechte Lösung, also Genua wieder raus, damit ich wenigstens Fahrt mache und mit zusätzlicher Unterstützung durch die Maschine würde ich somit wenigstens das Leiden verkürzen können, bis ich endlich nach zwei Stunden im sicheren Hafen sein werde.

Es gibt eine ungeschriebene Regel, eine Art Gentlemen-agreement unter Fahrtenseglern, dass man niemals, ausser es gehe gar nicht anders, gegen den Wind ausläuft. Das gehört sich nicht unter Fahrtenseglern, sondern dann wartet man besseren Wind ab. Heute hatte ich gegen diese Regel verstossen und die Strafe umgehend kassiert. Das hat gesessen. Es gibt durchaus Leute, denen das egal ist oder die sogar Geld damit verdienen. Wilfried Erdmann zum Beispiel, der hat die ganze Welt gegen den Wind umrundet. Alleine. Kreuzen gegen den Wind muss man sich wie einen Zickzack-Kurs vorstellen. Da man nicht segeln kann, wenn der Wind genau von vorne kommt, muss man kreuzen. Das bedeutet, dass man «am Wind vorbei» segelt. Statt geradeaus, direkt auf das Ziel zu, segelt man eine Wende um die andere im Zickzack-Kurs auf das Ziel zu. Moderne Boote schaffen einen Winkel zum Wind von ungefähr 40 Grad oder weniger. La Cabane schafft 50 bis 60 Grad, das ist schon recht gut. Auf gewissen Strecken legte Erdmann mit diesem Kreuzkurs ein Etmal von minus 3 Meilen hin. Ein Etmal ist die Strecke in Seemeilen, die man auf dem Meer in 24 Stunden zurücklegt. Ein gutes Etmal ist z.B. 120 Meilen in 24 Stunden. Wenn man nun pausenlos gegen den Wind kreuzen muss, kann es durchaus sein, dass man zwar eine gewaltige Strecke zurücklegt, effektiv aber kaum vorwärts kommt, oder sogar an «Höhe» verliert, sich also tatsächlich vom Ziel entfernt. Man stelle sich vor, was das für die Psyche bedeutet!   

Endlich im Stadthafen von Karlshamn angekommen, war ich einfach nur noch müde und schlief erst mal eine Stunde, bevor ich das Schiff unter Deck aufräumte, das nach dieser Fahrt aussah, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Karlshamn ist eine Stadt mit den üblichen «facilities». Man kann sie besuchen, muss man aber nicht. Sie hat ungefähr den Charme von Pforzheim, nur dass es eben am Meer liegt.

Vollwaschgang in der Hanöbucht

Nach dem wunderbaren Ausflug rund Bornholm gönnte ich mir einen Ruhetag. Aber wie so oft enden diese so genannten Ruhetage am Ende doch in Arbeit. Ich erinnerte mich, dass ich noch zuhause begonnen hatte, den «Kartenberichtigungssatz Ostküste Schweden I» nachzutragen. Ein Kartenberichtigungssatz ist im Grunde nichts anderes als ein gigantischer Scherenschnitt für Seekarten. Da sich in der Seekartografie immer das eine oder andere ändert, ist es wichtig, diese Änderungen in der Karte nachzutragen. Das sieht dann so aus, dass man sich für 10 Euro einen Kartenberichtigungssatz kauft, der vollgespickt ist mit dutzenden, wenige quadratzentimetern grossen Kartenausschnitten, die dann eben ausgeschnitten und in die Karte geklebt werden müssen. Ich brauchte mindestens drei Stunden für diesen Seekarten-Scherenschnitt und fühlte mich dabei wie in der ersten Klasse, als wir endlich nach mühseliger Sisyphus-Ausschneiderei und ein paar Pflästerli später stolz unser Werk bewundern durften.

Seekartenscherenschnitt

Am Freitag, 7. Juni zog es mich wieder fort. Ich wollte zurück nach Schweden und weiter Richtung Norden segeln. Simrishamn war mein Ziel. Die Überfahrt war nichts, woran man sich zwingend erinnern muss. Kaum Wind und eine Dünung ohne Ende aus einem Tiefdruckgebiet über Rügen schaukelten das Schiff hin und her wie eine kleine Nussschale. Simrishamn klingt zwar leicht orientalisch, ist in Wahrheit aber eine der grösseren Ortschaften in der historischen Region «Schonen». Wie bereits in Rönne, findet sich auch hier wieder eine St. Nikolaikirche, wobei ich noch nicht dahintergekommen bin, welche Bedeutung der heilige Nikolaus in dieser Region hat. Nach Ystad, das ich eine Woche zuvor besucht hatte, und es mir dort sehr gut gefallen hatte, hielt es mich nicht in Simrishamn. So beschloss ich, gleich am nächsten Tag weiter nach Åhus zu segeln. Diese Überfahrt von nur knapp 22 Seemeilen war dann doch etwas gruselig.

Noch bei der Abfahrt in Simrishamn erkundigte ich mich beim Hafenmeister «what about the weather?» Oh, maybe it’s going to rain. This means a stronger Wind, antwortete er. Auf meiner Wetter-App war zwar kein Regen angesagt, wohl aber ein kräftigerer Wind um 5 Beaufort gegen 11 Uhr. Die dunklen Wolken interpretierte ich als Hochnebel, der wie bereits am Vorabend sehr rasch auf- und wieder weiterziehen kann. Nach etwa einer halben Stunde auf See begann es tatsächlich zu tröpfeln und ich zog mir das Ölzeug und die Stiefel an. Ich war bereit! Plötzlich erschrak ich über einen ohrenbetäubenden Alarmton auf dem GPS-Plotter. Was hat das zu bedeuten?, fragte ich mich, und ich sah eine rot aufleuchtende Warnmeldung auf meinem Display. Dort war ein «DSC Distress Relay», ein weitergeleiteter Notruf eines Schiffs in Seenot. Mein Funkgerät deckt mit seiner Antenne auf 14 Meter Masthöhe eine Zone von ungefähr 25 Seemeilen ab. Das heisst, innerhalb dieses Rayons befand sich eine Mannschaft in Seenot und brauchte dringend Hilfe. Die «DSC-Distress»-Meldung war kategorisiert mit «Fire»: Feuer an Bord! Aus irgendeinem Grund war die Meldung aber nicht wie üblich mit der genauen Positionsangabe versehen, so war auch der Befehl auf dem Display «Wegpunkt anzeigen» ohne Erfolg. Nichts war zu sehen. Am Funkgerät hörte ich bereits den Notfunkverkehr auf Schwedisch. Ein direkter Blickkontakt zum Schiff in Not war nicht möglich, also musste es weiter entfernt sein. Selbst, wenn sich das Schiff in Not in «nur» drei bis vier Seemeilen Entfernung von mir befunden hätte, weiter konnte man nichts erkennen, würde ich beim aufkommenden Wind eine halbe Stunde bis dorthin brauchen. Ich fuhr weiter und betete für die Mannschaft in Not.

Kurz danach begann es wie aus Kübeln zu schütten Eine Gewitterzelle hatte mich von Südwesten kommend überholt und genau über mir gezeigt, was sie draufhat. Ich machte es mir gemütlich unter meiner Sprayhood, um nicht komplett dem Regen ausgesetzt zu sein. Im Moment hatte ich nichts zu tun, denn ich hatte zum Glück rechtzeitig die Segel gestrichen und liess unterdessen den Autopiloten für mich arbeiten. Dieser machte einen hervorragenden Job und ich hatte Pause und genoss es, zuzusehen wie der Regen die Wogen glättete. Dann kam das nächste aussergewöhnliche Ereignis. Ein Kontrollblick auf meine Windanzeige liess mich erschaudern. 84,9 Knoten Wind. Vierundachtzigkommaneun! Ich übertreibe nicht, ich habe es fotografiert. Zwar habe ich den Wert nicht mehr erreicht, aber fotografisch bewiesen sind immerhin 73,7 Knoten. Das ist rein physikalisch gesehen gar nicht möglich. Wäre der Wind wirklich so stark gewesen, hätte er den Mast längst abrasiert. Auf der nach Sir Francis Beaufort mit 12 Windstufen bekannten Skala hört die Messung bei 64 Knoten Wind auf (118,53 km/Stunde). Die Bezeichnung dafür heisst lapidar «Orkan». Zwar wurde später die Skala durch die Internationale Meteorologische Organisation bis zur Windstärke 17 erweitert (109 Knoten Wind bzw. 203 km/Stunde). Wie auch immer, traue nicht allein auf die Instrumente, auch Computer können irren! Ich höre in der Regel ab 20 Knoten Wind auf zu segeln. Was darüber hinausgeht, macht nicht mehr Spass, sondern ist ganz einfach nur gefährlich. Nach einer halben Stunde war der Spuk vorbei.

Nach diesem Vollwaschgang in der Hanöbucht war ich geläutert und froh, bereits den schmalen Streifen Land am Horizont zu erkennen. Von diesem Moment an, wo man erstmals «Land in Sicht» hat, geht es mindestens nochmals zwei Stunden, bis man seinen Fuss auf das Neuland setzen kann. Als vorletzter Schlusspunkt dieses magischen Törns herrschte natürlich augenblicklich, nachdem sich das Gewitter verzogen hatte, absolute Flaute. Mein Dreizylinderdiesel Volvo Penta 13 PS schnurrte uns friedlich Richtung Åhus. Zum Glück hatte ich am Morgen etwas Öl nachgekippt. Der Schlusspunkt war aber dann doch ein bisschen überraschend. Natürlich genau an der Hafeneinfahrt sprang der Windmesser auf 15 bis 20 Knoten. Dieses Mal aber real fühlbar. Es gibt Lustigeres, als Hafenmanöver bei 4 bis 5 Beaufort zu fahren, aber zum Glück fand ich dann in der Flussmündung von Åhus, mitten im Zentrum einen netten Platz, an dem ich mich einfach seitwärts reinflutschen konnte. Leine Raus, Zack, der Kahn stand. Gleich daneben ist ein grosser Park, in den ich mit Barney nach dem Anlegen gehen kann. Wie schön!

Landgang auf Bornholm

Sanft wiegt das Schiff hin und her zwischen den sicheren Landleinen zum Holzsteg. Die Sonne färbt sich zunehmend orange, dann rötlich. Bald wird sie untergehen und im Hafen von Nørrekås wird es ruhiger. Die Kinder, die noch bis vor kurzem hier badeten, müssen heim und die letzten Boote haben angelegt. Der warme Ostwind streichelt die Seele. Ein wunderbarer Tag geht zu Ende.

Heute war Landgang. Helmut und Kerstin fragten mich, ob ich Lust auf einen gemeinsamen Ausflug quer durch Bornholms Landschaft habe. Klar habe ich das, und wir mieteten uns ein Auto für einen Tag. Um 9 Uhr fuhren wir los und umkreisten die Insel im Uhrzeigersinn. Kerstin war gut vorbereitet und hatte einige interessante Hotspots parat und Navi sei Dank haben wir auf diese Weise Bornholm von seinen schönsten Seiten kennengelernt.

Ob in «Jons Kapel», einer Höhle in den Klippen des Westufers, in der einer Sage nach der Einsiedler Jon gelebt und gepredigt haben soll, oder auf der mächtigen Burgruine von «Hammershus», die Natur überwältigte uns immer wieder mit ihrem farbenfrohen Spektakel. Hammershus war eine Ritterburg, deren erste Erwähnung bereits auf 1500 zurück geht. Wer hier Burgherr war, hatte ausgesorgt!

Barney und Hansen hatten ausgiebig Gelegenheit, sich auszutoben. Nicht nur der unbändige Spieldrang der beiden, sondern auch die aussergewöhnliche Hitze von 30 Grad machte den beiden zu schaffen. Heute schläft Barney gut!

Barney mit seinem Freund Hansen

Dazwischen machten wir Halt in den schmucken Fischerdörfchen rund um die Insel und rekognoszierten die Häfen. Es sind fast ausnahmslos sehr kleine, ehemalige Fischerhäfen. Da die Fischindustrie längstens in ganz anderen Dimensionen funktioniert, dienen sie heute als Yachthäfen. Auf der Ostseite der Insel werden die Häfen mit Toren geschlossen, wenn ein Sturm aus Osten die zum Teil in den Stein gesprengten Häfen zu sehr aufzuwühlen droht. Wenn man dann mit dem Schiff raus will, geht das nicht. Schlimmer ist es, wenn man rein will, und nicht darf. Man muss also gut überlegen, wohin man will und immer eine Alternative bereit haben.

Eine Alternative, die übrigens auch ich gestrichen habe, ist der Besuch von Christiansø. Dieses Minieiland knapp nordöstlich von Bornholm, nur gerade 28 Seemeilen von Rønne entfernt, wollte ich unbedingt besuchen. Es besteht aus zwei Inseln, die durch einen schmalen Kanal getrennt sind. Leider entfällt das, weil Hunde dort nicht erlaubt sind.

Hammer Platz, Hammer Manöver

Es muss doch einfach einmal gesagt werden dürfen. Gewisse An- oder Ablegemanöver gehen total in die Hose, andere gelingen auf Anhieb. Das heutige Anlegemanöver in Rønne gehört zu Letzteren. Platz auswählen, Leine raus, Zack, der Kahn steht. So, nun ist es gesagt.

Klintholm war unser vorläufig letzter Tag bei den Dänen. Von hier aus segelten wir Richtung Schweden, nach Gislövs Läge, einem Vorort von Trelleborg. Da der Wind exakt von hinten kam, dümpelte unsere La Cabane nur lustlos vor sich hin. Erst als wir sie auf Kreuzkurs vor dem Wind versetzten, sprang sie an und fuhr uns in Rauschefahrt von maximal 7,8 Knoten Richtung Schweden. Das muss daran liegen, dass unsere La Cabane eine stolze Schwedin ist. 1978 lief sie hier vom Stapel. Die Werft Helmsman gibt es zwar leider nicht mehr, aber ich glaube, ein deutliches Vibrieren in den Wanten des Schiffs gespürt zu haben, als wir die Grenze zu Schweden überquerten. Selbstverständlich setzten wir ganz standesgemäss unterwegs die schwedische Gastlandflagge unter der Steuerbordsaling. Man will ja nicht unhöflich sein.

Gislövs Läge ist ein netter, kleiner Weiler mit Sandstrand. Da das Wetter es gut mit uns meinte, wollten wir am folgenden Tag gleich weiter Richtung Ystad. Der milde Südwestwind bescherte uns Kaffeesegeln vom Feinsten. Einmal die Segel auf Raumwindkurs gestellt, schaukelte er uns ohne Umwege direkt in den Hafen von Ystad hinein. Hier genossen wir das mittelalterliche Flair der Hafenstadt. Von hier aus fahren die grossen Fähren Richtung Polen und Bornholm. Das Städtchen selber muss man gesehen haben. Es zählt mit seinen lieblichen, mittelalterlichen Fachwerkhäusern zu den ältesten Städtchen in Südschweden. Die «Latinskolan» ist hier beheimatet und ein wunderbares, ehemaliges Franziskanerkloster begeisterte uns mit seinem Klostergarten. In Ystad hat sich Andreas verabschiedet und die Fähre Richtung Rostock und von dort den langen Heimweg angetreten. Das war eine super Woche mit einer super Mannschaft. Danke, Andreas!

Heute wagte ich den grossen Sprung rüber nach Bornholm (DK). Der Wind war nur schwach angesagt, und so musste ich erstmals eine grössere Strecke unter Maschine fahren. Erst ungefähr zwei Stunden vor Rønne wurde ich mit einem herrlichen Nordostwind beschenkt. Nichts wie hoch mit den Segeln und den Rest bei «halbem Wind» bis Nørrekås, einem kleinen Yachthafen nördlich des Fährterminals segeln. Logbucheintrag um 15.25 Uhr: Hammer Platz, Hammer Manöver. Manchmal braucht es wenig, um das Seglerherz zu erfreuen.

Unterwegs nach Rønne

Es war nicht das erste Mal, dass ich im Hafen auf Segler traf, die ich schon zuvor in anderen Häfen kennengelernt habe. So traf ich auch heute wieder ein deutsches Ehepaar, das ich gestern in Ystad kennengelernt hatte. Sie segeln seit 18 Jahren um die Welt. Mit an Bord: Hansen. Hansen ist ein süsser, einjähriger Terrier, und Barney hat sich spontan mit ihm angefreundet. Wie gut, dass sie auch heute wieder hier sind, so hat Barney wieder seinen Spielkameraden dabei. Passt!

And what’s your story?

Gestern war es stürmisch. Das bedeutete Hafentag. Ich mache sozusagen Ferien in meiner Auszeit. Bereits in Bagenkop wurde ich „eingeweht“. So nennt man das, wenn man beschliesst, aufgrund des Wetters im Hafen zu bleiben. Wir lagen im Yachthafen von Gedser, einem kleinen Dorf am südlichsten Punkt Dänemarks auf der Insel Falster. Wir, das sind Andreas und ich mit Barney. Zu dritt segeln wir seit Montag, und ich geniesse das in vollen Zügen. Andreas und ich haben zusammen studiert und über unser gemeinsames Hobby Segeln kreuzen sich unsere Wege immer wieder. Er kam in Heiligenhafen an Bord, von wo wir über Burgstaaken hierher gesegelt sind.

Beste Freunde: Andreas und Barney

In Burgstaaken habe ich mir einen Heckanker gekauft, von dem ich hoffe, dass er mir dereinst gute Dienste leisten wird. Vorgestern haben wir den Schlag von etwas mehr als dreissig Seemeilen von Burgstaaken hierher in gut fünf Stunden bei herrlichsten Bedingungen zurückgelegt. Der achterliche Wind, das heisst mässiger Rückenwind aus Nordwest mit vier bis fünf Beaufort, pustete uns mit gut sieben Knoten Fahrt Richtung Gedser.

Nun, an diesem stürmischen Tag im Hafen von Gedser, legte vor einer Stunde John vor unserer La Cabane an. John ist alleine unterwegs auf einem Segelschiff von gut sechs Metern Länge. Wir waren ihm beim Anlegen mit starkem Seitenwind behilflich. Im Gespräch mit ihm wurde ich einmal mehr von meinen Emotionen beinahe überrollt. John lebt in Neuseeland, hat sich aber in dieses Segelrevier verliebt und sich in Schweden sein Schiff für 6’000 Euro gekauft. Heute kam er auf direktem Weg von Malmö hierher. Diese Etappe kostete ihn 26 Stunden. Alleine. Ohne Schlaf. Behindert. John segelt seit dreizehn Jahren und hatte vor sieben Jahren einen Unfall. Nun bewegt er sich an Bord seines Schiffs mit den Händen robbend über das Deck. And what’s your story?, fragte er mich.

Als ich mich vorstellte und ihm meinen Vornamen sagte, fragte er, ob ich aus Italien oder Spanien komme, wegen des Vornamens und ich erzählte ihm meine Geschichte. Du kommst auch aus Brasilien?, rief er erfreut, er sei in Brasilien geboren und sofort unterhielten wir uns weiter auf Portugiesisch, das ich sowieso viel besser kann, als Englisch. Ich fragte ihn, wie er das alleine schaffe, mit seiner Behinderung bei solchem Wetter und ganz alleine. Er erzählte mir, dass das ganz gut gehe, aber dass er ständig seekrank werde. „Wirklich, du auch?“, fragte ich ihn, mir geht es nämlich genauso. Auf der Fahrt von Bagenkop nach Heiligenhafen habe ich zweimal über die Reling gekotzt. Und „denkst du nie ans Aufgeben?“. Doch, doch, jedesmal, aber an schönen Tagen ist alles wieder ganz anders, sagte er fröhlich. Er müsse jedesmal kotzen, das sei schrecklich, aber er segle schon seit dreizehn Jahren auf den Weltmeeren umher. Zweimal habe er den Pazifik schon überquert und einmal den Atlantik, aber die Ostsee habe ihren ganz eigenen Reiz, sei aber mit ihren kurzen Wellen auch besonders anspruchsvoll. Auf dem Ozean habe man lange Wellen, da surfe man mit dem Boot wie in einem Cadillac über das Wasser, aber hier sei es schon schwerer. Wir unterhielten uns und in mir wuchs die Bewunderung für diesen Menschen, für diesen Willen und diese Fröhlichkeit. Wir verabschiedeten uns und dann ging er schlafen.

John’s Boot in Gedser

Heute wurden wir für unseren Hafentag belohnt. Ein Segeltag vom Feinsten liegt hinter uns und wir haben nach rund 32 Seemeilen Klintholm auf der Insel Møn erreicht. Der wunderbare, stahlblaue Himmel und der gleich an den Hafen anschliessende Sandstrand waren die Sahne auf diesen fantastischen Segeltag.

Unterwegs nach Klintholm
Der Strand von Klintholm

Hotel-Bravo-Yankee aus Bagenkop

Landratten, this is Hotel-Bravo-Yankee, Five-two-three-two. Meine Position ist Bagenkop (DK), an Bord von La Cabane. Wetter gut, Stimmung gut. Das war nicht immer so.

Seit unserer Ankunft in Kappeln habe ich selten so eine intensive Achterbahn der Gefühle erlebt, wie in den vergangenen sechs Tagen. Nach zwölf Stunden Autofahrt von Wasterkingen nach Kappeln, sind wir, also meine Frau Carola und ich mit Labradoodle Barney letzten Samstag fix und fertig in Kappeln angekommen. Ich habe „La Cabane“ sofort am Ende des Stegs erkannt. Sie lag da mit ihren bekanten blauen Zierstreifen, aber ohne Mast sah sie jämmerlich aus. Das hässliche Entlein wäre ein Schwan dagegen. Das war allerdings so abgemacht, denn beim Mast-stellen („Aufriggen“) am Dienstag wollte ich dabei sein. Nicht abgemacht war allerdings, dass das Holzdeck aussah, als hätte jemand mit einem Brenneisen seine Insignien darauf hinterlassen.

Als ich begann, den Trinkwassertank zu füllen, rief plötzlich Carola, die unter Deck am Einräumen war, laut um Hilfe. In der Nasszelle spritze eine gewaltige Wasserfontäne mit Hochdruck in das Schiffsinnere und setzte innert Sekunden alles unter Wasser. Glücklicherweise entdeckte ich rasch das Problem, denn eine Rohrschelle  hatte sich gelöst und die Wasserpumpe drückte das Frischwasser fröhlich ins Leere, bzw. eben in das Schiff hinein. Das war eine riesen Sauerei und bevor wir auf La Cabane einziehen konnten, musste erst einmal das Wasser eimerweise aus dem Schiff geschöpft werden.

So wechselten sich die folgenden Tage Glück und Frust in einer kaum dagewesenen Kadenz. Das muss wohl so sein, hier im Norden, denn die Leute selbst haben hier die Ruhe weg. Problem? Ja, dann gucken wir uns das doch mal an. Und dann wird geguckt.

Am Montag fuhr ich Carola mit dem Auto nach Graal Müritz, wo sie eine Weiterbildung besucht. Dieser Tagesausflug mit Sightseeing in Rostock war ein Abschied auf Raten, der mich mehr hergenommen hatte, als gedacht. Denn als ich am Abend zurück war auf dem Schiff, allein, und sah, was noch alles zu erledigen war, wurde mir ganz anders.

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Barney ist bereit!

Aber heute ging’s endlich los. Bagenkop stand auf dem Plan. Der Wetterbericht sagte mässigen Wind aus Südwest um 3-4 Beaufort voraus, auffrischend auf 5-6 Beaufort im Lauf des späteren Nachmittags. Das bedeutete heute früh aufstehen, damit ich rechtzeitig in Bagenkop festliege, bevor der Wind stärker wird. Der Plan ging auf. Ich liege nun mit La Cabane fest in Bagenkop und unterdessen nimmt der Wind an Kraft zu und bläst mittlerweile im Hafenbecken mit satten 6 Beaufort (25 Knoten). Ich bin froh, in Sicherheit zu sein.

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Die Premiere auf der Ostsee ist geglückt. Der Autopilot war die richtige Entscheidung und auch der GPS-Plotter war mir eine sehr grosse Unterstützung. Unterwegs wurde ich sogar von zwei Schweinswalen begleitet. Was für ein Tag, was für eine Woche! Im Hafen Bagenkop war mir eine deutsche Crew behilflich beim nicht ganz einfachen Rückwärts-Anlegen in der Box mit bereits kräftigem Seitenwind. In der Zwischenzeit, beim Schreiben dieser Zeilen, neigt sich der Mast bereits spürbar zur Seite, allein durch die Kraft des Windes. Hatte ich schon erwähnt, froh zu sein, einen sicheren Platz gefunden zu haben?

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Der Wind soll die nächsten Tage so bleiben. Ich habe Zeit. Das ist gut. Wie schön!