Vollwaschgang in der Hanöbucht

Nach dem wunderbaren Ausflug rund Bornholm gönnte ich mir einen Ruhetag. Aber wie so oft enden diese so genannten Ruhetage am Ende doch in Arbeit. Ich erinnerte mich, dass ich noch zuhause begonnen hatte, den «Kartenberichtigungssatz Ostküste Schweden I» nachzutragen. Ein Kartenberichtigungssatz ist im Grunde nichts anderes als ein gigantischer Scherenschnitt für Seekarten. Da sich in der Seekartografie immer das eine oder andere ändert, ist es wichtig, diese Änderungen in der Karte nachzutragen. Das sieht dann so aus, dass man sich für 10 Euro einen Kartenberichtigungssatz kauft, der vollgespickt ist mit dutzenden, wenige quadratzentimetern grossen Kartenausschnitten, die dann eben ausgeschnitten und in die Karte geklebt werden müssen. Ich brauchte mindestens drei Stunden für diesen Seekarten-Scherenschnitt und fühlte mich dabei wie in der ersten Klasse, als wir endlich nach mühseliger Sisyphus-Ausschneiderei und ein paar Pflästerli später stolz unser Werk bewundern durften.

Seekartenscherenschnitt

Am Freitag, 7. Juni zog es mich wieder fort. Ich wollte zurück nach Schweden und weiter Richtung Norden segeln. Simrishamn war mein Ziel. Die Überfahrt war nichts, woran man sich zwingend erinnern muss. Kaum Wind und eine Dünung ohne Ende aus einem Tiefdruckgebiet über Rügen schaukelten das Schiff hin und her wie eine kleine Nussschale. Simrishamn klingt zwar leicht orientalisch, ist in Wahrheit aber eine der grösseren Ortschaften in der historischen Region «Schonen». Wie bereits in Rönne, findet sich auch hier wieder eine St. Nikolaikirche, wobei ich noch nicht dahintergekommen bin, welche Bedeutung der heilige Nikolaus in dieser Region hat. Nach Ystad, das ich eine Woche zuvor besucht hatte, und es mir dort sehr gut gefallen hatte, hielt es mich nicht in Simrishamn. So beschloss ich, gleich am nächsten Tag weiter nach Åhus zu segeln. Diese Überfahrt von nur knapp 22 Seemeilen war dann doch etwas gruselig.

Noch bei der Abfahrt in Simrishamn erkundigte ich mich beim Hafenmeister «what about the weather?» Oh, maybe it’s going to rain. This means a stronger Wind, antwortete er. Auf meiner Wetter-App war zwar kein Regen angesagt, wohl aber ein kräftigerer Wind um 5 Beaufort gegen 11 Uhr. Die dunklen Wolken interpretierte ich als Hochnebel, der wie bereits am Vorabend sehr rasch auf- und wieder weiterziehen kann. Nach etwa einer halben Stunde auf See begann es tatsächlich zu tröpfeln und ich zog mir das Ölzeug und die Stiefel an. Ich war bereit! Plötzlich erschrak ich über einen ohrenbetäubenden Alarmton auf dem GPS-Plotter. Was hat das zu bedeuten?, fragte ich mich, und ich sah eine rot aufleuchtende Warnmeldung auf meinem Display. Dort war ein «DSC Distress Relay», ein weitergeleiteter Notruf eines Schiffs in Seenot. Mein Funkgerät deckt mit seiner Antenne auf 14 Meter Masthöhe eine Zone von ungefähr 25 Seemeilen ab. Das heisst, innerhalb dieses Rayons befand sich eine Mannschaft in Seenot und brauchte dringend Hilfe. Die «DSC-Distress»-Meldung war kategorisiert mit «Fire»: Feuer an Bord! Aus irgendeinem Grund war die Meldung aber nicht wie üblich mit der genauen Positionsangabe versehen, so war auch der Befehl auf dem Display «Wegpunkt anzeigen» ohne Erfolg. Nichts war zu sehen. Am Funkgerät hörte ich bereits den Notfunkverkehr auf Schwedisch. Ein direkter Blickkontakt zum Schiff in Not war nicht möglich, also musste es weiter entfernt sein. Selbst, wenn sich das Schiff in Not in «nur» drei bis vier Seemeilen Entfernung von mir befunden hätte, weiter konnte man nichts erkennen, würde ich beim aufkommenden Wind eine halbe Stunde bis dorthin brauchen. Ich fuhr weiter und betete für die Mannschaft in Not.

Kurz danach begann es wie aus Kübeln zu schütten Eine Gewitterzelle hatte mich von Südwesten kommend überholt und genau über mir gezeigt, was sie draufhat. Ich machte es mir gemütlich unter meiner Sprayhood, um nicht komplett dem Regen ausgesetzt zu sein. Im Moment hatte ich nichts zu tun, denn ich hatte zum Glück rechtzeitig die Segel gestrichen und liess unterdessen den Autopiloten für mich arbeiten. Dieser machte einen hervorragenden Job und ich hatte Pause und genoss es, zuzusehen wie der Regen die Wogen glättete. Dann kam das nächste aussergewöhnliche Ereignis. Ein Kontrollblick auf meine Windanzeige liess mich erschaudern. 84,9 Knoten Wind. Vierundachtzigkommaneun! Ich übertreibe nicht, ich habe es fotografiert. Zwar habe ich den Wert nicht mehr erreicht, aber fotografisch bewiesen sind immerhin 73,7 Knoten. Das ist rein physikalisch gesehen gar nicht möglich. Wäre der Wind wirklich so stark gewesen, hätte er den Mast längst abrasiert. Auf der nach Sir Francis Beaufort mit 12 Windstufen bekannten Skala hört die Messung bei 64 Knoten Wind auf (118,53 km/Stunde). Die Bezeichnung dafür heisst lapidar «Orkan». Zwar wurde später die Skala durch die Internationale Meteorologische Organisation bis zur Windstärke 17 erweitert (109 Knoten Wind bzw. 203 km/Stunde). Wie auch immer, traue nicht allein auf die Instrumente, auch Computer können irren! Ich höre in der Regel ab 20 Knoten Wind auf zu segeln. Was darüber hinausgeht, macht nicht mehr Spass, sondern ist ganz einfach nur gefährlich. Nach einer halben Stunde war der Spuk vorbei.

Nach diesem Vollwaschgang in der Hanöbucht war ich geläutert und froh, bereits den schmalen Streifen Land am Horizont zu erkennen. Von diesem Moment an, wo man erstmals «Land in Sicht» hat, geht es mindestens nochmals zwei Stunden, bis man seinen Fuss auf das Neuland setzen kann. Als vorletzter Schlusspunkt dieses magischen Törns herrschte natürlich augenblicklich, nachdem sich das Gewitter verzogen hatte, absolute Flaute. Mein Dreizylinderdiesel Volvo Penta 13 PS schnurrte uns friedlich Richtung Åhus. Zum Glück hatte ich am Morgen etwas Öl nachgekippt. Der Schlusspunkt war aber dann doch ein bisschen überraschend. Natürlich genau an der Hafeneinfahrt sprang der Windmesser auf 15 bis 20 Knoten. Dieses Mal aber real fühlbar. Es gibt Lustigeres, als Hafenmanöver bei 4 bis 5 Beaufort zu fahren, aber zum Glück fand ich dann in der Flussmündung von Åhus, mitten im Zentrum einen netten Platz, an dem ich mich einfach seitwärts reinflutschen konnte. Leine Raus, Zack, der Kahn stand. Gleich daneben ist ein grosser Park, in den ich mit Barney nach dem Anlegen gehen kann. Wie schön!

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