ES geschah vor rund zwei Jahren, genau weiss ich das nicht mehr. ES schlich sich langsam in meine Seele und zunächst bemerkte ich ES gar nicht. Man sagt, dass Frösche die Erhitzung ihres Biotops nicht bemerken, wenn ES denn nur langsam genug vonstatten geht. Wenn sie ES merken, ist ES zu spät und sie krepieren in der zu warmen Brühe.
Mit dieser kleinen Metapher versuche ich gelegentlich mein Leben zu entschlüsseln. Zugegeben, die Metapher ist jetzt nicht gerade extrem ansprechend, aber jedes bildhafte Reden hat immer auch seine Grenzen. Die Frage ist, wie bemerkt man, dass sich etwas in oder um uns herum verändert? Und wie geht man mit der Wahrnehmung der Veränderung um?
Vor rund zwei Jahren sass ich mit meiner Frau an einem warmen Frühlingsabend auf unserer wunderbaren Laube mit Blick in die sanfte, hügelige Landschaft des Rafzerfeldes. Das Thema war eine allfällige Frühpensionierung, die Vorsorge und was sonst noch alles damit zusammenhängt. Wir redeten nicht über die Frühpensionierung eines älteren Onkels oder eines Kollegen, der an die 60 kratzt, sondern über meine eigene. Leicht irritiert fragte mich meine Frau, ob es sein könne, dass ich damit rund zehn Jahre zu früh dran sei. Und dann fragte sie, worum es denn eigentlich wirklich gehe. Wer ist hier der Psychologe, sie oder ich? Dafür liebe ich sie eben. Niemand kann so grausam ehrlich sein wie sie.
Ich habe einen super Job, Gott sei Dank! Er macht Sinn und regt meine Kreativität an. Privat haben wir ein schönes Leben und gesund sind wir auch. Trotzdem riecht es nach Um- oder Aufbruch. „Der Klassiker!“, höre ich jetzt jeden Hobbypsychologen sagen, „die Midlife Crisis hat dich volle Breitseite erwischt!“. Und wenn schon, wenn die Krise nicht nur negativ konnotiert, sondern in ihr auch eine Chance, ein Aufbruch angedacht ist, nehme ich sie gerne zur Kenntnis. „Solche Verunsicherungen sind Einladungen, hinzuschauen“,sagte mir ein guter Freund. Hat sich am Job etwas geändert? Oder erlebe und bewerte ich meinen Alltag anders? Oder ist einfach ein nächstes Kapital dran im Leben?
Ich erzählte meiner Frau, dass ich in meinem Kopf seit längerer Zeit so komische Bilder habe. Bilder vom Segeln auf der Ostsee. Für eine längere Zeit. Am liebsten alleine. Am liebsten auf unserer „La Cabane“, mit der wir seit rund zehn Jahren auf dem Bodensee segeln.
Schweigen.
„Dann mach das doch, ich finde das eine tolle Idee!“, sagte sie.
Das ist einer der Momente, wo ES entsteht, das Neue. Das Neue entsteht an der Schwelle von der Imagination zur Artikulation. In dem Moment, in dem der Gedanke ausgesprochen wird, entsteht das Neue. Das Neue braucht Freunde. Das Neue muss über die Lippen kippen, wie der Tropfen Wasser, der das Fass zum Überlaufen bringt.
So war das damals, mit dieser Idee, drei Monate Auszeit auf der Ostsee zu planen. Alles, was danach kam und noch kommen wird ist nur noch die Abfolge dieses Prozesses, der damals ausgelöst wurde.
La Cabane II wird in Friedrichshafen für den Transport an die Ostsee ausgewassert.