Endstation

Freunde, das war’s. Schiffbruch im Kalmarsund, aus und vorbei.

Endstation Bergkvara: La Cabane wird klar gemacht für den Abtransport.

Was ist passiert? Torhamn, diesen kleinen, schnuckeligen Schärenhafen habe ich am frühen Dienstagmorgen, 18. Juni verlassen. Eine herrliche Morgenstimmung mit wenig Wind erwartete mich. Mein Tagesziel, Bergkvara liegt ca. 20 Seemeilen nördlich von hier auf dem Weg nach Kalmar. In Kalmar wollte ich das Wochenende verbringen, denn am Freitag ist hier ein grosser Feiertag, der Mittsommertag, wo ganz Schweden aus dem Häuschen ist. Soweit der Plan. In Kalmar würde ich mir langsam überlegen müssen, ob ich noch weiter nordwärts oder bereits die Rückkehr Richtung Süden antreten soll, um rechtzeitig in Simrishamn zu sein, wo mein Freund Rolf und sein Sohn Simon für eine Woche zusteigen würden und danach würde ich in Kopenhagen endlich meine Familie wieder sehen. Je nach Grosswetterlage konnte es gut sein, dass ich auch auf dem Rückweg nach Süden durchaus wieder ein paar Hafentage einlegen musste, und ich wollte auf keinen Fall zu spät für unsere gemeinsamen Ferien in Kopenhagen ankommen.

Sonnenuntergang in Torhamn

Mein elektronisches Navigationsprogramm bietet die Möglichkeit der automatischen Routenwahl. Torhamn liegt noch im Schärengebiet, knapp vor dem Zugang zum Kalmarsund, dem mehr oder weniger offenen Meer. Zwischen dem Zugang zum offenen Meer und dem kleinen Hafen Torhamn liegt ein Flachwassergebiet mit teilweise nur gerade 0,7 Meter Wassertiefe. La Cabane hat 1,85 Meter Tiefgang. Die automatische Routenwahl schlug einen Umweg vor, um das Flachwassergebiet zu umfahren. Dieser Umweg hätte mich aber mindestens zwei bis drei Stunden gekostet. Das schien mir unnötig, zumal es auf der Seekarte eine betonnte Fahrrinne zum Meer gab. Ich entschied mich für die Fahrrinne und gegen die automatische Routenwahl des Navigationsprogramms. Der Entscheid war richtig. Die Fahrrinne war supereng, aber immer genügend tief. Nach ca. einer halben Stunde war ich auf dem offenen Meer. Von hier aus konnte ich nun nordwärts Richtung Bergkvara fahren. Leider war nichts mit Segeln, denn der Wind war unterdessen ganz eingeschlafen.

Ein letztes Mal Schärensegeln vom Feinsten

Nach ungefähr zwei Stunden, auf halbem Weg, war ich auf der Höhe Kristianopel. Ich bemerkte, dass auf dem GPS-Plotter die AIS-Signale der anderen Schiffe nicht mehr auf meinem Display angezeigt wurden. Das ist bei diesem schönen Wetter mit stahlblauem Himmel nicht weiter tragisch, denn ich konnte die Schiffe ja mit blossem Auge sehen, da aber im Moment grad nichts zu tun war, holte ich das englische Bedienermanual des Gerätes um herauszufinden, woran der Fehler liegen könnte. Ich setzte mich draussen hin und las das Manual.

Ich hatte es noch nicht lange aufgeschlagen, da erschütterte plötzlich ein gewaltiger Knall das ganze Schiff. Augenblicklich standen wir still. Ich wusste sofort, was passiert war: Wir waren auf Grund gelaufen, und das bei voller Geschwindigkeit von ca. 6 Knoten, also knapp 12 km/h. Auf offenem Meer. La Cabanes Kiel hatte sich in schwedischen Granit gebohrt. Ein Kontrollblick auf die Karte bestätigte meine schlimmste Befürchtung: Wir waren exakt auf einen Unterwasserfelsen gedonnert. Wenige Meter links oder rechts daneben wäre alles frei gewesen. Das Unglaubliche war, dass links und rechts von uns dutzende von Segelyachten friedlich auf demselben Kurs Richtung Norden unterwegs waren. Wir befanden uns auf einer Art Segel-Autobahn und es schien, als hätten alle das gleiche Ziel: Norden. Aber ich hatte genau jene Stelle erwischt, an der es kein Weiterkommen gab. Ich sah, dass von der Wucht des Aufpralls die Einbaumöbel der Pantry (Küche) zum Teil geborsten waren. Einige Schnapptüren liessen sich nicht mehr schliessen. Barney ist erschrocken und sofort aus seiner Hundekoje zu mir hochgekommen.

Einen Augenblick dachte ich, der Motor sei explodiert, aber dieser schnurrte friedlich vor sich hin. Zum Glück, so konnte ich die Unglücksstelle rückwärts verlassen. Ich umfuhr den Felsen grossräumig in der Hoffnung, dass der Kiel noch hält. Mein Ziel, Bergkvara war in knapper Sichtweite und ich schätzte die Zeit bis dorthin auf ca. 1,5 Stunden. Das sollte machbar sein, und so entschied ich mich, Schiff und Mannschaft auf direkten Weg Richtung Bergkvara in Sicherheit zu bringen. Ich überlegte kurz, ob ich einen Notruf über Funk absetzen sollte, aber das schien mir übertrieben, da das Ziel in greifbarer Nähe war. Natürlich kam jetzt Wind auf, und ich hätte segeln können, aber das war mir jetzt egal. Das einzige, das jetzt zählte, war so schnell wie möglich und zwar möglichst ohne den Kiel zusätzlichen Belastungen auszusetzen, den nächsten Hafen anzulaufen.

Endlich in Bergkvara angekommen, musste ich erst bei starkem Seitenwind das Schiff an einer dieser lästigen Heckbojen anmachen. Irgendwie gelang mir das dann mit Hilfe von netten Schweden, die von ihren Schiffen herzukamen. «Is everything ok?», fragte einer der Schweden. Er musste in meinem Gesichtsausdruck etwas erkannt haben. No!, sagte ich, nothing is ok, und ich erzählte ihm von meinem Unfall. Überall grosses Bedauern. Reden hilft, habe ich einmal gelesen.

Nun hatte ich erst Zeit, mir einen Überblick über die Schäden am Schiff zu verschaffen. Neben dem zerborstenen Mobiliar im Salon und einem herausgeschleuderten Ablagefach aus der Steuerbordkabine sah ich, dass in der Bilge eine beträchtliche Menge Wasser war. Die Bilge ist der tiefste, noch zugängliche Ort im Schiff, in dem sich Wasser ansammelt. Das kann Regenwasser sein, das sich dort ansammelt oder eben Wasser, das durch eine defekte oder zerstörte Kielverschraubung in das Schiffsinnere dringt.

Im Hafenmeisterbüro organisierte ich einen Bootsbauer von der Werft im Ort. Dieser kam sehr rasch und begutachtete die Folgen dieser «Grundberührung» wie das im Fachjargon reichlich verharmlosend heisst. „This looks not good“, sagte er mir in gebrochenem Englisch. Wir entschieden uns, das Schiff sofort auszuwassern. Eine halbe Stunde später kam bereits ein riesiger Pneukran an den Kai und wir hoben das Boot auf Lagerböcke, die schon parat standen. Erst jetzt konnten wir den stark beschädigten Kiel begutachten. Die Vorderseite der Kielflosse sah aus, als hätte ein gigantischer weisser Hai daran geknabbert und ein grosses Stück abgebissen. Das ist eigentlich der kleinste Schaden, denn der Kiel besteht aus reinem Blei. Das kann man abflexen und wieder aufbauen. Viel stärker fallen die äusserlich erkennbaren Risse am Schiffsrumpf ins Gewicht. Das bedeutet, dass das Schiff schlimmstenfalls in seiner tragenden Grundstruktur gelitten hat.

Auswassern in Bergkvara

Das Schiff liegt nun im Trockendock und statt die wunderschöne Landschaft zu entdecken, heisst es nun Papierkrieg, Administration, Versicherungsknatsch und den Rücktransport des Schiffs in die Schweiz zu organisieren, denn fahrtüchtig ist das Schiff definitiv nicht mehr. Wie durch ein Wunder blieben Barney und ich bei diesem Aufprall komplett unverletzt. Dafür bin ich dankbar!

Ein letztes Mal Schweden von seiner Schokoladenseite

2 Kommentare zu „Endstation

  1. Lieber Sergio
    Wie schade, dass dein langersehnter Segeltörn so so abrupt zu Ende geht bzw. gegangen ist. Materieller Schaden lässt sich ersetzen und zum Glück ist die Besatzung unversehrt geblieben. Im vorherigen Beitrag hast du berichtet, was man machen soll, wenn das Schiff nicht machen will, was man will. Bei diesem Unfall waren Schiff und Kapitän machtlos. Bleiben wird jedoch die Frage, warum gerade du mit deinem Schiff auf dem Felsen aufgelaufen bist. Was mag dies bedeuten oder war nur ein dummer Zufall? Wie dem auch sei – wünsche dir einen guten Abschluss deiner Auszeit, möge alles gut kommen. LG, Manfred

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  2. Oh Sergio, das tut uns so leid. So lange auf diese Reise gefreut und jetzt so unerfreulich beendet!
    Das Allerwichtigste ist aber, dass du und Barney alles heil und ohne Kratzer überstanden habt. Wir wünschen Dir, dass der Papierkrieg halbwegs flott über die Bühne geht und du einen guten Weg findest, wie es mit La Cabane weitergeht. Alles Liebe, Ulli und Christoph

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